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Bereits Christoph Kolumbus war fasziniert von den ausgedehnt treibenden Teppichen, die sich vor ihm in der Mitte des Atlantiks auftaten. Heute wissen wir, dass diese Braunalgenbestände ein äußerst artenreiches Ökosystem beherbergen. Die Algen stammen ursprünglich aus der Sargassosee, einem relativ nährstoffarmen Meeresgebiet unweit des berüchtigten Bermudadreiecks. Durch veränderte Meeresströmungen in den vergangenen 15 Jahren „entkamen“ freischwimmende Sargassum-Arten aus dem Gebiet und bilden seit 2011 jährlich wiederkehrende Massenbestände aus [1]. Der dadruch entstehende, sich von Westafrika bis in die Karibik erstreckende 8000 km lange „große atlantische Sargassum-Gürtel“, ist die größte Algenblüte der Welt und enthält etwa 20 Millionen Tonnen Biomasse [2]. Dies entspricht einem Wald von etwa 1800 km2, also ungefähr der doppelten Fläche von Berlin.
Im Meer auf Felsen angewachsen oder freischwimmend
Im Gegensatz zu anderen Braunalgen-Gruppen ist Sargassum vor allem in warmen und tropischen Meeren anzutreffen. Dort sind die bis zu 16 Meter langen Algen an felsigen Meeresböden angewachsen und stehen wie Bäume aufrecht im Wasser, um an der Sonne Photosynthese betreiben zu können. Der Auftrieb wird möglich durch Lufteinschlüsse in Schwimmblasen, die man schon mit dem bloßen Auge an der braunen Oberfläche der Algen erkennen kann. Wellen, Strömungen und Stürme können Sargassum zerbrechen und an die Wasseroberfläche treiben. Diese Bruchstücke wachsen dann aber rasch weiter, und können so ihre Masse in nur 12 bis 14 Tagen verdoppeln, was ihre Verbreitung in den Meeren unterstützt. Zwei Sargassum-Arten, S. natans und S. fluitans, haben den sesshaften Lebensstil sogar komplett hinter sich gelassen und kommen ausschließlich freitreibend vor. Diese freitreibenden Sargassum-Bestände sind enorm produktiv. An der Wasseroberfläche profitieren sie von den steigenden Meerestemperaturen und den ins Meer gelangten Nährstoffen aus der Landwirtschft, die die wachsenden Sargassum-Bestände düngen [3]. Aufgrund der Strömungen gelangen riesige Bestände dieser treibenden Algen schließlich in Küstenbereiche, wo sie in Ländern der Karibik und in Westafrika schwerwiegende Umwelt- und Gesundheitsprobleme verursachen und die Wirtschaft schädigen [4].
Algen und Menschen - volle Strände in Tourismusgebieten
Die Massenbestände aus Makroalgen mögen aus der Distanz faszinierend anmuten, doch der unmittelbare Kontakt mit ihnen kann unangenehme Konsequenzen haben. An den Strand gespült, beginnt Sargassum innerhalb von Tagen zu verrotten. Schwefelwasserstoff und Ammoniak werden dabei freigesetzt. Dieses nach faulen Eiern riechende Gasgemisch kann die Haut und Atemwege schädigen. In stark betroffenen Ländern wie Mexiko gehen Strandarbeiter – die sogenannten „Sargazeros“ – zum Schutz des Tourismus dagegen vor, indem sie Sargassum mit Hilfe von großen Netzen aus den Küstengewässern entfernen, auf dem Strand auftürmen, trocknen und abtransportieren. Die Verwendung dieser Biomasse folgt bisher noch keiner einheitlichen Strategie, was auch daran liegt, dass Sargassum nicht nur Nährstoffe rasch aufnimmt, sondern auch giftige Schwermetalle wie Arsen anreichern kann. Zwar wurden bereits Verfahren zur Entfernung des Arsens entwickelt, doch die stark schwankende Versorgung der Unternehmen mit Sargassum-Biomasse in gleicher Qualität aufgrund des jährlichen Zyklus der Sargassum-Blüte behindert die effiziente Weiterentwicklung solcher Methoden.
Massenblüten: Schädlich in Küstenökosystemen, aber nützlich im offenen Ozean
Massenblüten schädigen nach Anschwemmen Küstenökosysteme, indem sie den unter ihnen lebenden Organismen das Sonnenlicht rauben oder schlüpfende Schildkröten daran hindern, an die Wasseroberfläche zu gelangen. Wenn die Algen verrotten, kann das zu Nährstoffüberschüssen führen und Korallenriffe schädigen. Gleichzeitig bieten natürliche Sargassum-Bestände im offenen Ozean einen essentiellen Laichgrund, Brutplatz und Rückzugsort für zahlreiche Fische, Schildkröten und andere Meerestiere. Außerdem bieten die langen Algengürtel Schutz und werden deshalb von den Tieren als Migrationsroute verwendet. Kleine Fische und Larven locken mikrobielle Zersetzer und größere Raubtiere an, was ein vielfältiges Ökosystem mitten in einer ozeanischen Wüste ermöglicht. Einige dieser Tiere sind sogar so gut an das Leben in Sargassum-Beständen angepasst, dass sie die Algen in ihrem Namen tragen, wie der bräunliche Sargasso-Fisch.
Von schädigenden Massenblüten zum nachhaltigen Rohstoff
Sargassum ist sehr effizient bei der Aufnahme von CO2 und benötigt vergleichsweise wenig Nährstoffe für ein rasches Wachstum. Diese vorteilhaften Eigenschaften haben in der letzten Zeit einiges wissenschaftliches und kommerzielles Interesse für das Potenzial der Alge in klimaschützenden Innovationen im Bereich der „blauen Bioökonomie“ geweckt. In der von Dr. Fernández-Méndez geleiteten Forschungsgruppe am AWI wird das Potenzial von Sargassum für die langfristige Entfernung und Speicherung von CO2 in nützlichen Produkten für die Kreislaufwirtschaft und als Kohlenstoff-Senke erforscht. Im Rahmen des „sea4soCiety-Sargassum-Projekts“, das als Teil der CDRmare-Forschungsmission vom Bundesministerium für Bildung und Forschung gefördert wird, untersucht die Gruppe den Kohlenstoff- und Nährstoffkreislauf von Sargassum mithilfe von Probennahmen, Wachstumsexperimenten und Luftüberwachung mit Drohnen. Dies geschieht in Mexico und auf den karibischen Inseln von St. Vincent und den Grenadinen. Diese aufwändige Feldforschung wird durch chemische Analysen der Biomasse und durch Modellierungen im Labor in Bremerhaven unterstützt. Ein weiterer Schwerpunkt der Forschung geht der Frage nach, wie Algenprodukte genutzt werden können, z.B. als Kunststoffe oder Düngemittel, um erdölbasierte Materialien zu ersetzen. So wird untersucht, wie Sargassum als möglicher CO2-Speicher in der Kreislaufwirtschaft genutzt werden kann, und welche ökologischen Fragen sich stellen [5], z.B. bei der Umwandlung in Biokohle bei Hochtemperaturen oder beim Absinken in die Tiefsee, wie es bereits als natürlicher Prozess geschieht. Diese und andere internationale Arbeitsgruppen untersuchen, ob Sargassum im offenen Ozean kontrolliert kultiviert werden kann. Ein Vorteil ist dabei, dass die freischwimmende Alge nur wenig Infrastruktur für ihr Wachstum benötigt und dadurch kostengünstig im großen Maßstab angebaut werden könnte. Weitere Forschung ist erforderlich, um die Skalierbarkeit und die Umweltauswirkungen solcher Maßnahmen genau einschätzen zu können.
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Pressemitteilung der Sektion Phykologie.