Pressemitteilung

Seit 200 Jahren bekannt und noch voller Rätsel: Die blutrote Schneealge ist Alge des Jahres 2019

Die leuchtend roten Schneefelder, die die Blutschneealgen enthalten, erstrecken sich über weite Flächen, wie hier auf dem Doktorbreen-Gletscher in Spitzbergen im August 2004. Foto: Thomas Leya

Die Alge Chlamydomonas nivalis, die auf der ganzen Welt Schnee blutrot zu färben vermag, haben Forschende zur Alge des Jahres gewählt. Auch 200 Jahre nach einer Expedition, bei der Kapitän John Ross auf einer Polarfahrt den Roten Schnee zeichnete und den Verursacher im Mikroskop zu erkennen suchte, gibt die Alge weiterhin Rätsel auf. Schneealgenexperte Dr. Thomas Leya vom Potsdamer Fraunhofer IZI-BB erklärt, warum das so ist und wo der winzige Einzeller zu entdecken ist. Leya ist Mitglied der Sektion Phykologie, in der die Algenforscher der Deutschen Botanischen Gesellschaft (DBG) organisiert sind, die Chlamydomonas nivalis zur Alge des Jahres 2019 gewählt haben.

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Als im Jahr 1818 britische Seeleute auf der Suche nach einer Nord-West-Passage die Küsten der Baffins Bay auf Grönland entlangsegelten, staunten sie über Schneefelder in „dunkler Karmesinfarbe“. Wie Kapitän John Ross beschreibt, war der Schnee „den Fels herunter, an einigen Stellen bis zu einer Tiefe von 10 bis 12 Fuß von dem färbenden Stoff durchdrungen“. Die Schiffsoffiziere betrachteten Proben unter dem Mikroskop und fanden darin dunkelrote, samenkornartige Gebilde, „ein vegetabilisches Produkt“ wie sie vermuteten. Den Kapitän faszinierte das Blutschnee-Phänomen so sehr, dass er es im Logbuch niederschrieb. Seine Beobachtungen schilderte er später im Buch „A voyage of discovery“ zusammen mit einer Zeichnung der blutroten Klippen, die er „Crimson Cliffs“ nannte. Eine weitere Expedition im Jahr 1851 brachte Proben-Röhrchen aus der Baffin Bay mit, von denen eine Probe noch immer im Berliner Museum für Naturkunde aufbewahrt wird.

Wie sich die blutrote Schneealge „versteckt“

Wie man heute weiß, wird die rote Farbe im Schnee durch die Alge Chlamydomonas nivalis hervorgerufen. Bei den mikroskopisch kleinen, roten Gebilden handelt es sich um beinahe leblose Dauerstadien, sogenannte Zysten. Sie sind von einer sporopollenin-ähnlichen Substanz ummantelt, die auch Pollenkörnern ihre Widerstandskraft verleiht. „Bislang hat noch kein Wissenschaftler diesen zu den Grünalgen zählenden Organismus im Labor kultivieren können“, erklärt Leya, der an der Potsdamer Außenstelle Bioanalytik und Bioprozesse des Fraunhofer-Instituts für Zelltherapie und Immunologie (IZI-BB) eine der weltweit bedeutendsten Schneealgensammlungen namens CCCryo unterhält. „Die vermehrungsfähigen Stadien der blutroten Schneealge müssten eigentlich aufgrund des enthaltenen Photosynthese-Farbstoffes, des Chlorophylls, grün sein.“ Neben dieser roten Schneealgenart gibt es noch eine ganze Reihe anderer Schneealgen, die den Schnee auch großflächig grün färben können. Dass scheinbar niemand den Verursacher des Roten Schnees kultivieren kann, bestätigten Leya auch Kolleginnen aus dem In- und Ausland, die vergangenen November zum 2. internationalen Schneealgentreffen SAM2018 ans IZI-BB nach Potsdam gekommen waren.
Zwar berichteten schon einige Forschende, dass es ihnen gelungen sei, lebende Zellen aus Rotem Schnee zu kultivieren, doch „bei genauerer Betrachtung stellten sich diese jedoch stets als die gleichzeitig mitvermehrte Begleitflora heraus, eben andere Schneealgen des Grünen Schnees“, so Leya. Weltweit rätseln deshalb Forschende, welche Umweltbedingungen sie im Labor nachstellen müssen, damit sich die Mikroalge Chlamydomonas nivalis als Reinkultur wohlfühlt.

Blutroter Sonnenschutz

Was die rote Farbe hervorruft, ist dagegen schon länger bekannt. Sie stammt vom Farbstoff Astaxanthin, einem Carotinoid, das man auch in anderen Algen, Garnelen oder Lachs findet. Letztere eignen sich den Farbstoff allerdings durch den Verzehr von rotgefärbten Algen an. In der Alge schützt der blutrote Farbstoff die lichtempfindliche Photosynthese-Maschinerie vor zu intensiver Sonnenstrahlung. Vermutlich dient das Astaxanthin auch dazu, das Erbmaterial im Zellkern vor schädigendem UV-Licht abzuschirmen.

Vermehrung im ewigen Schnee

Die blutrote Schneealge kommt fast überall auf der Welt im ewigen Schnee vor: in der Arktis, Antarktis und im Hochgebirge. Es ist zu vermuten, dass sie wie ihre Verwandten des Grünen Schnees, an ihren kalten Lebensraum gebunden ist und bei höheren Temperaturen abstirbt, was aber noch keiner belegen kann. Auch über den jährlichen Zyklus der Entwicklung der roten Schneealgenfelder ist wenig bekannt, wenngleich dieses Phänomen doch so verbreitet ist und regelmäßig in Sommern beobachtet wird. "Wir wissen zwar, wie Roter Schnee aussieht, aber wir wissen nicht wirklich, wie diese mikroskopische Alge es schafft, im Frühsommer, wenn noch mehrere Meter Neuschnee liegen, solche Massen an Zellen hervorzubringen, die es für das Phänomen des Roten Schnees benötigt. Dabei handelt es sich ja um eine regelrechte Algenblüte“, erklärt Leya. Um das herauszufinden, müsste man ein Schneefeld beispielsweise auf Spitzbergen, wo Leya viele Sommer geforscht hat, "von Winter über Frühjahr bis zum Ende des Sommer in allen Schichten eines 2-3 Meter dicken Schneefeldes beproben und die verschiedenen Zellstadien untersuchen“, sagt der Potsdamer Algenforscher, Beisitzer im Vorstand der Sektion Phykologie in der Deutschen Botanischen Gesellschaft.

Verwandtschaft noch nicht ganz aufgeklärt

Wie sich die blutrote Schneealge auf der ganzen Welt ausbreiten konnte, ob ihre Verbreitung nur lokal ist oder sie mit Winden weltweit verdriftet wird, ist weiterhin ihr Geheimnis. Bislang ist auch ihre verwandtschaftliche Stellung innerhalb der Algen nicht vollständig geklärt. Ihren wissenschaftlichen Namen, Chlamydomonas nivalis, was so viel heißt wie im Schnee lebende Chlamydomonas-Alge, erhielt sie bereits 1903. Sie wurde aber wohl eher zufällig nach den mit ihr gemeinsam im Schnee vorkommenden anderen Algen der Chlamydomonas-Gruppe zugordnet. Mit der im Jahr 2014 zur Alge des Jahres gekürten Chlamydomonas reinhardtii (siehe: Schneller Schwimmer steht Model) scheint sie nicht direkt verwandt zu sein. Darauf deuten neuere genetische Studien hin, die an Proben aus Schneefeldern weltweit durchgeführt wurden. Gleichzeitig wurde auch die oben genannte, alte Probe aus der Baffins Bay von 1851 untersucht. "Unsere aktuellen Studien zeigen, dass die Art wohl weltweit in Form ihrer Zysten verbreitet wird“, sagt Leya. "Genetisch unterscheiden sich die blutroten Schneealgen Spitzbergens kaum von denen aus den Rocky Mountains oder den Alpen. Auch Zellen aus der Antarktis unterscheiden sich kaum von denen anderer Gebiete der Erde, so dass man wohl von einem weltweiten Genfluss ausgehen kann“, berichtet der Algenforscher über die ersten Ergebnisse. „Die Alge des Blutschnees wird auch einer anderen Algengattung als Chlamydomonas zugeordnet werden müssen, das gilt schon jetzt als sicher."

Verwahrung in Biobanken

„Damals ein Mythos, oft lebhaft zu Seemannsgarn versponnen und auch heute noch voller Fragen“, beschreibt Leya die Alge. Auch wenn das Phänomen des Roten Schnees nun 200 Jahre alt ist, liegt noch vieles über die rote Schneealge im Dunklen. Dabei ließen sich diese kälteangepassten Schneealgen vielleicht auch industriell nutzen. Zwar ist Chlamydomonas nivalis nicht im Labor kultivierbar, weswegen zur Untersuchung der roten Zysten immer wieder neue Proben gesammelt werden müssen, doch Leya hält in seiner CCCryo Biobank am IZI-BB eine Reihe anderer, grüner und kälteangepasster Algen. Einige von ihnen werden derzeit hinsichtlich ihres kompletten Genoms und Transkriptoms mit Kolleginnen der Universität von Kalifornien (UCLA) und des Geoforschungszentrum (GFZ) in Potsdam untersucht. "Wir erhoffen uns Erkenntnisse über kälteaktive Enzyme, die sich z.B. für medizinische und diagnostische Zwecke oder in der Lebensmittelprozesstechnik sowie Kosmetik einsetzen lassen", sagt Leya. „Was aber die rote Schneealge angeht: Solange wir davon keine lebenden Reinkulturen haben, wird sich ihr Leben weiterhin im Verborgenen abspielen“, resümiert der Schneealgenexperte.

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Gemeinsame Pressemitteilung der Sektion Phykologie in der DBG und des Fraunhofer IZI-BB.

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