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„An Ulva mutabilis lassen sich sowohl chemische Kommunikation als auch entwicklungsbiologische Vorgänge studieren“, sagt Dr. Thomas Wichard, Leiter der Arbeitsgruppe „Chemische Ökologie von Ulva“ an der Universität Jena. Er untersucht, wie Ulva mutabilis und ihre bakteriellen Begleiter sich wechselseitig informieren. „Die Bakterien sind dabei unersetzliche Helfer für das Wachstum, die Entwicklung der Blattform oder des Haftorgans, mit dem sich Ulva am Boden verankert“, erklärt Wichard, der Mitglied der Sektion Phykologie der Deutschen Botanischen Gesellschaft (DBG) ist, in der die Algenforscher organisiert sind.
Trick zur Trennung von Bakterien und Algen
Konkret interessiert Wichard, welche Stoffe die Bakterien produzieren und wie sie die Entwicklung der Alge von einer mikroskopisch kleinen Keimzelle bis zur Meersalatform beeinflussen. Um die Kommunikation zwischen den so verschiedenen Arten standardisiert im Labor zu untersuchen, erzeugten die Forscher zunächst Kulturen, die frei von Bakterien sind. Dazu wendeten sie einen Trick an: Sie nutzten die Eigenschaft der frei beweglichen, Gameten genannten Keimzellen der Alge, zum Licht zu schwimmen. Bei diesem Vorgang lassen die begeißelten Gameten die langsamer schwimmenden Bakterien hinter sich. Die bakterienfreien Keimzellen sammelten die Forscher ein, um junge Algen zu gewinnen, die frei von anderen Organismen aufwachsen.
Jungalgen nach Bedarf
Einen Schub in der Erforschung chemischer Kommunikation zwischen Ulva und ihren Bakterien brachte die Entdeckung mehrerer Hemmstoffe, die die Bildung und Freisetzung ihrer Keimzellen regulieren. Diese Wirkstoffe erlauben es der Alge, große Mengen an Keimzellen synchron zu bilden und gleichzeitig mit ihren Nachbarn ins Meerwasser freizusetzen. Anderenfalls hätten die Zellen keine Chance in den Weiten des Ozeans einen Paarungspartner zu ergattern und mit ihm zu verschmelzen. Im Labor entfernen die Forschenden diese Inhibitoren gezielt, um zu jeder gewünschten Zeit Keimzellen ausschwärmen zu lassen und so eine neue bakterienfreie Generation von Algen zu begründen. „Diese kontrollierten Kulturbedingungen sind wesentlich, um zu verstehen wie die Bakterien mit Ulva in einer symbiotischen Beziehung leben und wie sie Wachstum und Entwicklung der Alge positiv beeinflussen“, erklärt Wichard.
Nur die richtigen Bakterien lassen die Alge gedeihen
Die Jungalgen entwickelten sich ohne Bakterien nur sehr langsam und lediglich zu einem unförmigen Zellhaufen. Anschließend testeten die Forscher einzelne Bakterien und beobachteten, was diese in den Algen bewirken. Wie sie herausfanden, reichen zwei spezifische Bakterienarten aus – nämlich ein Roseobacter und ein Cytophaga genannter Bakterienstamm – damit Ulva mutabilis seine natürliche Form ausbildet. Der Roseobacter induziert Zellteilungen der Blattzellen, so dass wieder das typische salatförmige Blatt entsteht und wirkt ähnlich wie das Pflanzenhormon Cytokinin. Der Cytophaga löst dagegen eine Differenzierung derjenigen Zellen aus, mit denen sich die Alge am Untergrund festhält und wirkt ähnlich wie das Pflanzenhormon Auxin. Das dabei entstehende Haftorgan wird auch als Rhizoid bezeichnet. Darüber hinaus sorgt der Cytophaga für die korrekte Struktur der Zellwände der Alge. Nur beide Bakterien gemeinsam vermitteln also die typische Gestalt des Meersalats.
Stecknadel im Meerwasser
Nicht nur die Bakterien sondern auch Ulva setzen chemische Substanzen frei, was zu einem komplexen Cocktail führt, den die Forschenden gerne entschlüsseln möchten. „Die an der Kommunikation zwischen Ulva und Bakterien beteiligten Faktoren werden dabei in so kleinen Mengen produziert, dass uns das bei der Identifizierung der Stoffe vor große Herausforderungen stellt“, berichtet Biochemiker Wichard aus dem Laboralltag. „Es ist wie bei der Suche nach der berühmten Stecknadel im Heuhaufen - nur im Meerwassermedium“. Inzwischen hat er mit seinem Team erste Kandidaten isoliert, die wahrscheinlich gemeinsam zur normalen Entwicklung der Alge Ulva mutabilis beitragen.
Europäisches Forschernetzwerk untersucht Gestaltbildung von Makroalgen
Auch andere Makroalgen, die mit Ulva mehr oder weniger nah verwandt sind, werden daraufhin untersucht, welche Faktoren und bakteriellen Begleiter deren Gestalt beeinflussen. Mehr als 30 Forscherteams aus ganz Europa haben sich unter dem Namen „Phycomorph“ zusammengeschlossen, um Wachstum und Entwicklung von Makroalgen gemeinsam zu erforschen. Seit Ende November erhalten sie für die kommenden vier Jahre eine Forschungsförderung der europäischen Gemeinschaft (European Cooperation in Science and Technology Association, COST), um ihre unterschiedlichen Expertisen in gemeinsamen Forschungsprojekten einzusetzen. Wichard ist froh, Teil dieses Netzwerks zu sein und mit den europäischen Kollegen den Meersalat als Modelorganismus zu etablieren.
Ansiedlung, Algenblüten und Biofilter
Die bakteriellen Partner unterstützen die Alge auch bei der Suche nach geeignetem Lebensraum. Signalstoffe der Bakterien locken die andere Form von Ulva-Keimzellen, die ebenfalls begeißelten Zoosporen, zur Keimung an geeignete Stellen. Die Jungalgen bilden dann mit den Bakterien einen Belag, etwa auf einem Felsen, wo die Grünalgen schließlich zu ihrer endgültigen Größe heranwachsen. Algen der Gattung Ulva finden sich aber nicht nur auf natürlichen Oberflächen, sondern auch an Schiffsrümpfen (sogenanntes Fouling), wo sie das schnelle Fortbewegen der Boote behindern.
In der Natur können sich viele Ulva Arten unter bestimmten Bedingungen massenhaft vermehren, etwa wenn ungeklärte und sehr nährstoffreiche Abwässer aus Landwirtschaft und Städten ins Meer gelangen. Solche Algenblüten mit ihren riesigen Pflanzenmasse treten weltweit in vielen Küstengebieten auf und gefährdeten im Jahr 2008 beinahe die Durchführung der olympischen Segelregatta in China. Darüber hinaus lagert sich Ulva am Ufer ab und bildet Algenmatten, die den darunter liegenden Lebewesen die Luft nehmen.
Da aber Ulva andererseits überschüssige Nährstoffe aus Abwässern auch sehr schnell aufnehmen kann, tüfteln Forscher bereits daran, den Meersalat eines Tages als zuverlässigen Biofilter für die Abwasserreinigung zu nutzen.
Erste Genom-Analysen
Ulva begeistert die Forschenden wegen ihrer vielen noch unerforschten Geheimnisse. Im Unterschied zu bereits etablierten Modelsystemen ist bei Ulva aber noch viel Pionierarbeit zu leisten. Erst vor kurzem startete das erste Ulva Genome Project in Großbritannien, von dem sich die wissenschaftliche Gemeinschaft einen Schub für ihre Forschungsaktivitäten und einen besseren Zugang zu molekularbiologischen Arbeitstechniken erhofft. Gespannt warten die Teams nun auf die Genomdaten, um sich einen Überblick über die Entwicklungsprogramme der Alge zu verschaffen. „Das ambitionierte Projekt wird auch helfen, die tieferen Geheimnisse der vielfältigen Kommunikation zwischen Ulva und ihrer Umgebung auf genetischer Basis zu entschlüsseln“, freut sich Wichard schon jetzt auf die Ergebnisse.