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Forschende isolierten die Alge Chromera velia aus Steinkorallen, die sie im Sydney Harbour und vor den Inseln Magnetic Island und One Tree Island im Great Barrier Reef fanden. Eigentlich waren sie auf der Suche nach anderen Algen, die eng mit den Korallen zusammen leben. Dabei entdeckten sie eine bis dato unbekannte Art, die den gesuchten Algen zwar oberflächlich ähnelt, sich jedoch in vielen Eigenschaften deutlich von ihnen unterscheidet. Die Biologinnen und Biologen gaben ihr im Jahr 2008 den Namen Chromera velia.
Chromera velia und die Korallen, Beziehungsstatus unklar
Während die ursprünglich gesuchten Algen mit den Korallen in Symbiose zum beidseitigen Nutzen leben, ist die Beziehung zwischen Chromera velia und den Korallen eher unausgeglichen. Die meisten Korallen im Meer sind frei von Chromera velia. Bringt man im Labor junge Korallenlarven mit Chromera velia zusammen, besiedelt die Alge das äußere Gewebe der Koralle. Nach ein paar Tagen sind die Korallenlarven jedoch wieder frei von der Alge. Das ist anders als bei den in Symbiose mit Korallen lebenden Algen, welche die Koralle über ihren Magen von innen her dauerhaft besiedeln.
Im Labor wächst Chromera velia problemlos in künstlichem Meerwasser. Sie vermehrt sich dort auch ohne Korallen, ist also nicht auf die Korallen angewiesen. Alle auf der Welt vorhandenen Kulturen von Chromera velia wurden aus Proben von Korallen gewonnen, die Alge wurde noch nie frei im Meer beobachtet. Daher ist es zwar wahrscheinlich, dass es eine Beziehung zwischen Chromera velia und den Korallen gibt, was aber genau diese Beziehung ausmacht, ist noch unbekannt.
Verwandtschaft zu gefährlichen Parasiten
Besser untersucht als ihr Verhältnis zu Korallen, sind die Verwandtschaftsverhältnisse der Chromera velia. Aufgrund ihres genetischen Fingerabdrucks und anderer Merkmale entpuppte sich die neu entdeckte Alge als am nächsten mit einer Apicomplexa genannten Gruppe von Einzellern verwandt. Zu diesen gehören unter anderem die parasitisch lebenden Erreger von Malaria und Toxoplasmose. An der von Mücken übertragenen Malaria erkranken und sterben jedes Jahr viele Menschen. Der Toxoplasmose-Erreger kann in der Schwangerschaft ungeborenen Kindern gefährlich werden. Er ist von Katzen auf den Menschen übertragbar. Chromera velia ist der nächste photosynthetisch aktive Verwandte dieser parasitischen Einzeller. Sie ist mit diesen sogar näher verwandt als mit der nächstverwandten Algengruppe, den Panzergeißlern. Zu den Panzergeißlern gehören zum Beispiel die oben genannten in Symbiose mit Korallen lebenden Algen, oder auch die Alge des Jahres 2013, Lingulodinium polyedrum, der Verursacher des Meeresleuchtens.
Puzzlestein zwischen Photosynthese und Parasitismus
Die Verwandtschaft zwischen Chromera velia und den parasitischen Apicomplexa gibt Hinweise auf den Ursprung der Krankheitserreger. „Die parasitischen Apicomplexa haben sich im Laufe der Evolution aus frei lebenden Algen entwickelt, obwohl man meinen sollte, dass eine Alge so etwas gar nicht nötig hätte. Algen betreiben Photosynthese, sie leben von Licht, CO2 und Wasser. Parasiten sind jedoch in der Ernährung auf ihre Wirte angewiesen. Chromera velia hilft uns diesen Wechsel der Lebensweise zu verstehen. Sie ist eine Alge, sie hat aber gleichzeitig viele Gemeinsamkeiten mit den parasitischen Apicomplexa“, erklärt Algenforscher Dr. Ansgar Gruber. Er ist Mitglied in der Sektion Phykologie (Algenforschung) in der DBG.
Die Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen Chromera velia, den parasitischen Apicomplexa und ihren Wirten zu kennen, ermöglicht es auch neue Therapien gegen Krankheitserreger zu entwickeln. Gemeinsam haben Chromera velia und die parasitischen Apicomplexa einen ähnlichen Zellbestandteil. In der Alge läuft in diesem Chloroplast genannten Zellbestandteil die Photosynthese. In den Apicomplexa ist dieser Chloroplast dagegen stark reduziert. Sie brauchen ihn nicht für die Photosynthese, aber für andere Stoffwechselwege. Menschen und Tiere haben keine Chloroplasten. „Der reduzierte Chloroplast der Apicomplexa bietet ein exponiertes Angriffsziel, einen Punkt an dem sie verwundbar sind, den es bei uns aber nicht gibt“, sagt Gruber. Das macht die reduzierten Chloroplasten der Apicomplexa als potentiellen Wirkungsort für neue Medikamente gegen Malaria- und Toxoplasmose-Erreger interessant. Ähnlich zu Antibiotika, die ihre Wirkung auch nur in Bakterien − nicht jedoch in menschlichen Zellen entfalten. Die Chloroplasten der leicht im Labor zu kultivierenden Chromera velia sind daher in den Fokus der Forschung gerückt.
Einzigartiger genetischer Code belegt nahe Verwandtschaft
Ein Mitentdecker der nahen Verwandtschaft von Chromera velia mit den Apicomplexa ist Prof. Miroslav Oborník, der am Institut für Parasitologie der Tschechischen Akademie der Wissenschaften in Budweis forscht. Oborník untersuchte den genetischen Code von Chromera velia. Der genetische Code legt fest, wie genetische Informationen zum Aufbau von Eiweißmolekülen interpretiert werden. Er ist eigentlich für alle Organismen einheitlich. Oborník fand heraus, dass die Alge Chromera velia in ihren Chloroplasten einen alternativen genetischen Code verwendet. „In einem Gen, das für die Photosynthese absolut notwendig ist, befindet sich ein Stopp-Befehl. Gemäß dem Standard Code könnte dieses Gen gar nicht funktionieren. Aber anstatt den Stopp-Befehl auszuführen, übersetzt die Eiweiß bildende Maschinerie von Chromera velia die genetische Information der DNA in eine Tryptophan-Aminosäure. Die gleiche Abweichung im genetischen Code findet sich auch in den reduzierten Chloroplasten der Apicomplexa. Als mir diese Gemeinsamkeit auffiel, war ich mir sicher dass Chromera velia mit den Apicomplexa verwandt sein muss“, schildert Oborník die Entdeckung.
Offene Fragen
Weil Chromera velia ein so bedeutender Organismus ist, wurde im Jahr 2015 ihr komplettes Genom entziffert. Sie könnte Dank der nun vorliegenden Gen-Sequenzen zu einem Modell-Organismus für die Grundlagenforschung werden, an dem Therapien gegen Malaria und andere Parasiten der Apicomplexa-Gruppe getestet werden. Gruber und Oborník stehen dazu im Austausch mit anderen der etwa 15 weltweit an Chromera velia forschenden Gruppen. Zurzeit erforschen sie in Budweis ob und in welcher Beziehung Chromera velia mit Korallen zusammenlebt, also ob etwa Alge oder Koralle voneinander profitieren oder sich schaden. „Photosynthese und Parasitismus sind als Lebensstile nur selten in einem Organismus vereint. Chromera velia könnte uns zeigen, warum diese Kombination so ungewöhnlich ist“, vermutet Gruber. Ob Chromera velia vom klimabedingten Korallensterben bedroht ist, von geschwächten Korallen profitiert oder gar zur Schädigung der Korallen beiträgt, seien ebenfalls spannende Fragen, die es noch zu untersuchen gelte.